Weißbrot gegen Krebs

Unter diesem reißerischen Aufmacher erschien in der Süddeutschen Zeitung im Wissensteil am 14. Februar (im Internet datiert auf den 15. Februar) ein Artikel von Anousch Mueller. Da ich mittlerweile häufig auf diesen Artikel angesprochen werde und trotzdem mit der Kommentierung Gefahr laufe, ihn aufzuwerten, sehe ich mich genötigt, gegen diesen bodenlosen Unsinn eindeutig Stellung zu beziehen.

Gleich zum Eingang ihres Artikels beschreibt Frau Mueller eine neuraltherapeutische Behandlung einer Patientin. Hierbei ist festzuhalten, dass die Neuraltherapie eine Behandlungsmethode ist, die mit der so genannten „sanften Medizin“ recht wenig zu tun hat. Dass diese Injektionsmethode erlernt werden muss, steht außer Zweifel. Die Heilpraktikerverbände bieten in ihrer Fortbildung auch ausreichend Möglichkeiten, sich in diesen Therapieverfahren aus- und weiterzubilden.

Die von Frau Mueller beschriebene Neuraltherapie geschieht im Rahmen einer Heilpraktikerausbildung an einer nicht näher benannten Berliner Ausbildungsstätte. Sie bezeichnet die Behandlung als „illegalen Akt“. Begründet wird die Aussage mit der Einlassung, dass die invasive Neuraltherapie seit 2006 den Heilpraktikern verboten sei. Das ist bereits falsch. Es ist richtig, dass Procain und Lidocain, die in unseren Praxen meist verwendeten Lokalanästhetika, für die Behandlung durch Heilpraktiker nur noch zur Injektion in die gesunde Haut und nicht kombiniert mit anderen Medikamenten zugelassen sind. Nun hat sich bereits seit Verwendung dieser Medikamente herauskristallisiert, dass einige Patienten diese nur schlecht vertragen und einige Kollegen generell ein Problem damit haben, ein Betäubungsmittel zu injizieren. Von der Industrie wurden in der Vergangenheit auch Präparate entwickelt (Sensiotin, um nur ein Beispiel zu nennen), die eine neuraltherapeutische Therapie mit homöopathischen Präparaten ermöglichen. Diese Therapie ist der mit Procain und anderen Lokalanästhetika durchaus ebenbürtig.

Auch die angebliche Einlassung eines Studenten, diese Therapie dürfe nur unter Ultraschallkontrolle durchgeführt werden, ist falsch. Die von Frau Mueller apostrophierte Aussage des Dozenten, „wer sich in Anatomie auskennt, braucht kein Ultraschallgerät“ ist ebenso wenig professionell wie nicht nachprüfbar.

Weiter führt die Autorin aus, sie habe in ihrer Heilpraktikerausbildung erlebt, dass viele sehr selbstbewusst ihre Befugnisse übertreten. Das ist grundlegend falsch.
Mit Urteil vom 29.1.1991 hat der Bundesgerichtshof entschieden: „Wendet ein Heilpraktiker bei Patienten invasive Diagnose- und Therapiemethoden an, unterliegt er denselben Sorgfaltspflichten wie ein Arzt für Allgemeinmedizin, der mit solchen Methoden behandelt. Er ist zur Fortbildung auf diesen Gebieten verpflichtet.“ (Az.: VI ZR 206/90) Wer gegen dieses Urteil verstößt, muss mit straf- und zivilrechtlichen Konsequenzen sowie mit dem Widerruf seiner Zulassung als Heilpraktiker rechnen.

In der Folge dieser massiven Angriffe gegen einen etablierten Berufsstand begibt sich Frau Mueller in die Verschwörungsszene und berichtet, dass Schüler (es gibt an Heilpraktikerschulen keine Studenten) massiv esoterisch indoktriniert würden, ihnen Impfangst eingejagt und Tollwut mit homöopathischen Mitteln geheilt werde. Ich weiß nicht, an welcher Ausbildungsstätte Frau Mueller gewesen ist, aber von derartigen Maßnahmen habe ich bei den mir bekannten Ausbildungsstätten (und das sind nicht wenige) noch nie gehört.

Frau Mueller behauptet, Heilpraktiker würden „oftmals“ ihren Patienten von Impfungen oder anderen medizinisch sinnvollen Therapien abraten. Das ist natürlich ebenfalls hanebüchener Unsinn. Kein Heilpraktiker würde einem Patienten eine sinnvolle Therapie schlecht reden oder von Impfungen abraten – das darf er auch gar nicht.

Im Weiteren beschreibt Frau Mueller, dass der Heilpraktiker kein anerkannter Ausbildungsberuf sei. Das ist natürlich ebenso falsch wie die Behauptung, das Heilpraktikergesetz sei ein Nazigesetz. Die Kernpunkte des Heilpraktikergesetzes entstanden schon Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Nationalsozialisten wollten mit der damaligen Fassung des Gesetzes für ein Aussterben des Berufsstandes sorgen. Nach Ende des zweiten Weltkrieges wurde das Heilpraktikergesetz durch mehrere gerichtliche Auseinandersetzungen in seine heutige Form gebracht und ist seither ein „Verbotsgesetz mit Erlaubnisvorbehalt“. Das Besondere am Heilpraktikergesetz ist jedoch, dass in keinem anderen Gesetz über medizinische Berufe die „Ausübung der Heilkunde“ so klar dargelegt ist. Wollte man das Heilpraktikergesetz abschaffen, müsste ein Großteil der Rechtsprechung der vergangenen knapp 100 Jahre, in welchen Bezug auf diese Formulierung genommen wird, ebenfalls aufgehoben werden.

Wenn Frau Mueller kritisiert, dass es keine Ausbildungsregelung in unserem Beruf gibt, kann man ihr das nicht absprechen. Die Verbände und insbesondere der Heilpraktikerverband Bayern mit seinem richtungsweisenden Konzept für eine qualitativ hochwertige Ausbildung verfolgt aber eben diese Ziele und hat durch seine Verbandsstruktur hinsichtlich Ausbildung und Weiterbildung Standards gesetzt, an denen sich Heilpraktiker im Zweifelsfall messen lassen müssen.

Fast überflüssig ist der nächste Absatz. Hier wird beschrieben, dass der Ausbilder seine chiropraktischen Eingriffe auf die Halswirbelsäule ausdehnte, was – laut Frau Mueller – Nichtmedizinern verboten sei. Das ist natürlich nicht wahr.

Besonders pikant ist der Absatz, in der die Autorin beschreibt, ein Dozent für Kinesiologie habe bei einer Patientin die Nussallergie gelöscht und sie könne jetzt wieder Erdnüsse essen. Der Dozent hat Recht, denn Erdnüsse sind Leguminosen und keine Nüsse.
Und auf den Titel ihres Artikels geht die Autorin damit ein, dass der Ernährungstherapeut geraten habe, eine Krebserkrankung mit einer speziellen Diät zu bekämpfen. Dass er angeblich von einer Chemotherapie abgeraten haben soll, halte ich für unwahrscheinlich. Der in die Schlagzeilen gekommene Therapieplan bei malignen Erkrankungen stammt im Übrigen von einem mittlerweile in den Niederlanden ansässigen Kölner Arzt und nicht von einem Heilpraktiker.

Zur Aussage über die Formulierungen gegen die Impfungen darf ich höflich darauf hinweisen, dass Impfungen in der Medizin generell nicht unumstritten sind und die bekanntesten Impfgegner allesamt Ärzte sind.

In dem Artikel wird ferner behauptet, es gebe 35000 Heilpraktiker, davon 27000 Frauen, die im Jahr 15 Millionen Behandlungen vornehmen würden.
Das ergäbe pro Heilpraktiker 429 Behandlungen pro Jahr oder 36 pro Monat. Schwer vorstellbar, dass damit die anhaltende Beliebtheit der in unseren Praxen angewendeten Methoden begründet werden können, die zutreffend inzwischen rund 70 Prozent der Menschen befürworten. Und ebenso unvorstellbar, dass ein Heilpraktiker mit nur 36 Behandlungen im Monat wirtschaftlich überleben kann.

Im weiteren Verlauf ihres Artikels bezieht sich Frau Mueller auf die Tatsache, dass die Berufsausübung in Österreich nicht erlaubt ist, vergisst aber – ganz nebenbei – zu erwähnen, dass es in der Schweiz sehr wohl Heilpraktiker und Naturärzte gibt, die wie wir in Deutschland ausgebildet sind und arbeiten.

Die Ohrfeigen, die Frau Mueller der amtsärztlichen Überprüfung verpasst, sind sehr ungerechtfertigt. Die Anforderungen in der Heilpraktikerüberprüfung vor dem Gesundheitsamt sind außerordentlich hoch und ein Angehöriger eines gesetzlich geregelten medizinischen Ausbildungsberufes sagte mir vor einiger Zeit, er hätte nicht gedacht, dass die Anforderungen derartig hoch wären. Da war er gerade in der Prüfung durchgefallen.

Zur wiederholten Kritik an den von Heilpraktikern ausgeübten Therapieverfahren verweise ich auf das eingangs zitierte Urteil.

Im Abspann relativiert die Autorin den Erfolg der Heilpraktiker dahingehend, dass sich Patienten von den Ärzten nicht ernst genommen fühlten und zum Heilpraktiker gingen, weil dieser mehr Zeit und Empathie aufbringe. Alleine mit diesen Prämissen wird sich wohl keine Praxis behaupten. Menschen mit gesundheitlichen Problemen werden nicht Patienten von Heilpraktikern, weil sie abenteuerliche Mythen bestätigt finden oder sich angeblich fragwürdigen Behandlungstechniken aussetzen wollen, sondern weil sie von Ärzten als austherapiert gelten, ohne die Linderung ihrer oft chronischen Beschwerden erfahren zu haben.

Anousch Mueller hat neuere deutsche Literatur und jüdische Studien studiert und ein Buch geschrieben. Dass sie offenbar erfolglos eine Heilpraktikerausbildung absolvierte, gibt ihr nicht das Recht, einen so schlampig recherchierten Artikel zu veröffentlichen. Diese Kritik richtet sich insbesondere auch an die Süddeutsche Zeitung und den Leiter der Wissen-Redaktion, Dr. Werner Bartens, den ich bislang zwar immer als unbequem, aber auch als sachlich kennen gelernt habe.

Quellen:

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