Arzneimittel und Umwelt

Es gibt ein Forschungsprojekt, neudeutsch genannt „Global Relevance of Pharmaceuticals in the Environment“, welches im Auftrag des Umweltbundesamtes durchgeführt wird. Ziel dieses Projektes ist die Erfassung des Vorkommens von Arzneimitteln und Umwelt. Hierzu werden wissenschaftliche Publikationen und Interviews mit Fachleuten ausgewertet. Das Projekt ist vorläufig befristet bis 2015.

Arzneimittel in der Umwelt sind eine globale Herausforderung, so titelt die neueste Veröffentlichung der Studienergebnisse. Warum?

Zunächst ein Ausflug in die menschliche Physiologie. Arzneimittel für Menschen gelangen in erster Linie über das Abwasser der Toilettenspülung in die Umwelt, weil sie nach der Einnahme nicht vollständig resorbiert und daher zum großen Teil wieder ausgeschieden werden.

Dann ein Ausflug in die Technik. Auch die heute in Betrieb stehenden Kläranlagen sind in vielen Fällen nicht in der Lage, viele Humanarzneimittel hinreichend abzubauen. Das liegt zum Einen daran, dass einige Anlagen bereits „in die Jahre gekommen“ sind und andererseits eine moderne Technologie zur Elimination umwelttoxischer Substanzen fehlt oder aus Kostengründen nicht installiert wurde.

Last but not least (um sich selbst auch mal einiger unnützer Anglizismen zu bedienen) ein Ausflug über die der Studie zu Grunde liegende Statistik. Nicht nur in den Böden von Industriestaaten sondern auch in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern wurden hohe Konzentrationen von Arzneimittelrückständen gemessen. Bis heute wurden 630 verschiedene Arzneimittelwirkstoffe in der Umwelt nachgewiesen, 17 davon tauchten in allen Regionen der Welt auf.

Die höchste Datendichte betrifft den Wirkstoff Dioclofenac, bekannt als Schmerzmittel und Entzündungshemmer. In den Gewässern von insgesamt 50 Ländern wurde er festgestellt, in 35 davon überstieg seine Konzentration deutlich die Messmarke von 0,1 Mikrogramm pro Liter. Dieser Grenzwert wurde im Laborversuch ermittelt. Bereits geringfügig höhere Werte zeigten bereits Schädigungen bei Fischen. „Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich geeinigt, die Konzentration dieses Stoffes regelmäßig zu messen und mögliche Gegenmaßnahmen bei Überschreitung zu entwickeln“ – was wieder so eine typisch windelweiche EU-Aussage ist, die nichts anderes bedeutet, als dass erst dann nachgedacht wird, wenn schon Schäden aufgetreten sind.

Doch nicht nur Diclofenac wurde nachgewiesen, sondern auch das Schmerzmittel Ibuprofen, das Antibiotikum Sulfamethoxazol, das Antiepileptikum Carbamazepin und letztlich auch das Hormon zur Schwangerschaftsverhütung Ethylenestradiol. Letzteres führt wahrscheinlich zu Mutationen an Fischen in den Abwässern nahe von Kläranlagen. Schon vor 10 Jahren wurde am Potomac River, Maryland, Amerika nachgewiesen, dass männliche Fische weibliche Veränderungen aufwiesen, die vom Aufenthalt dieser Tiere im belasteten Wasser am Ausfluss von Kläranlagen verursacht wurden. Ähnliches berichten Fischer seit Jahren von Flüssen in Deutschland.

Und ebenfalls geraume Zeit ist es her, dass in einer renommierten deutschen Tageszeitung über die teilweise extrem hohen Kokainkonzentrationen in Flüssen berichtet wurde. „Spitzenreiter beim Kokainkonsum sind in der internationalen Analyse die USA. So schnupfen die New Yorker den Messwerten im Hudson zufolge täglich 134 Kokainlinien pro 1000 Einwohner. Die höchsten europäischen Werte fanden die Nürnberger Forscher im spanischen Ebro, wo sie die Reste von 97 Kokainlinien pro 1000 Einwohner registrierten. Im Inn bei St. Moritz (Schweiz) fanden sich zur touristischen Hochsaison die Abbauprodukte von täglich 22 Kokainlinien pro 1000 Menschen – ebenso wie im italienischen Fluss Po. In der Themse bei London waren es 20.“

Scheinbar beruhigend bei der Veröffentlichung der Studie ist die Aussage, dass sich „in den letzten Jahren die Datenlage zum Vorkommen von Arzneimitteln in der Umwelt für Deutschland und die anderen Staaten der EU sowie für Nordamerika und China deutlich verbessert hat“.

Und ebenfalls scheinbar beruhigend ist die Nennung eines Workshops zum Thema Arzneimittel in der Umwelt in Genf Anfang April, bei dem sich Wissenschaftler mit dieser Thematik befassen. Diese Veranstaltung ist vom Umweltbundesamt initiiert, Ergebnisse sind noch nicht bekannt.

Zumindest ist erfreulich, dass hinsichtlich homöopathischer und pflanzlicher Arzneimittel in der Umwelt keine negativen Meldungen vorliegen.

Und geben wir der österlich geprägten Hoffnung Anlass, dass der „strategische Ansatz zum internationalen Chemikalienmanagement“ (SAICAM) unter dem Dach der Vereinten Nationen wirklich Erfolge aufzeigt. Und das zeitnah, wenn’s geht!

Quellen:

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert