Desinfektion – Fortschritt oder Rückschritt?

Es ist leicht, vom Wege abzukommen oder den falschen Weg einzuschlagen. 
Aber wer weiß schon, welches der richtige Weg ist für das Individuum?
Die Ärzte, die Wissenschaftler oder vielleicht auch die Heilpraktiker?

So wurden die Impfgegner von der Süddeutschen Zeitung vor kurzem mit den Klimawandelsleugnern und anderen „ewig Ungläubigen“, die jeglichen Fortschritt ignorieren, in einen Topf geworfen.

Dass jedoch mancher noch so hochgelobte Fortschritt genauso gut ein Rückschritt sein kann, wird meist nur sehr verhalten publiziert. Früher – ich meine damit nicht „die gute alte Zeit“, die sich bei näherem Hinsehen als gar nicht so gut entpuppt – früher, das heißt noch vor etwa 20 Jahren befanden, sich an unseren Waschbecken in den Praxen Seifenstücke. Unhygienisch, hieß es bald. 

Dann wurden Seifenspender verpflichtend, ebenso wie Desinfektionsmittelspender. Längst hat dieser Trend auch schon außerhalb von Praxen Einzug gefunden. Jeder Amerikaurlauber kennt die weißen Desinfektionsmittelspender mit dem Aufdruck „Gesunde Hände beginnen hier“.

Über diesen so genannten Fortschritt amüsiert sich Jan Vinjé, der Leiter des Programmes der Überwachung von Infektionskrankheiten an der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC.

Er führt in einem Interview aus, dass diese Desinfektionsmittel möglicherweise vor ein paar relativ harmlosen Grippeviren schützen können. Im Hinblick auf die meisten Bakterien und Viren sei die Desinfektionslösung dem normalen Händewaschen deutlich unterlegen. Beim Waschen der Hände werde ein wirksames Detergens verwendet und es komme darüber hinaus der rein mechanische Reibe-Effekt zum tragen, welcher den Mikroorganismen das Leben schwer macht. Das betrifft vor allem auch die Noroviren, die saisonal bedingt gerade wieder eine Menge Menschen in die Knie zwingen. Und, so führt Vinjé weiter aus, steigen die Zahlen der an Noroviren Erkrankten ständig an. Sie seien, sagt er, auch sehr demokratisch: sie befallen jeden. Diese Mikroorganismen gibt es wahrscheinlich schon immer und sie sind absolut resistent gegen die größte Zahl von Desinfektionsmitteln und auch unempfindlich gegen Temperaturen von -20 bis +60 Grad. Sie vermehren sich unter Umständen rasend schnell – nicht nur durch Tröpfcheninfektion, sondern vielleicht sogar durch die Luft.

Ewen Todd berichtete auf der Jahrestagung der Amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften von einem solchen Fall. Ein Schüler an einer Schule in San Francisco habe sich über die Türe der Toilette erbrochen. Und obwohl die Stelle umgehend gereinigt und desinfiziert wurde, erkrankten in den zwei folgenden Tagen mehr als 300 Schüler und Lehrer an demselben Brechdurchfall.

Die Gefährlichkeit von Desinfektionsmittelspendern wurde anhand der Erkrankungsfälle in einem Seniorenheim in Neuengland sogar belegt und im American Journal of Infection Control veröffentlicht. Hier hatten die Pflegekräfte das Händewaschen zu Gunsten der Desinfektionsmittelspender vernachlässigt und so die Krankheit übertragen.

Und letztendlich ist auch in unseren Breiten hinlänglich bekannt, dass die übermäßige Desinfektionswut harmlose Mikroorganismen zerstört, dadurch aber das biologische Gleichgewicht in hohem Maße irritiert und damit das Aufwuchern teilweise lebensbedrohlicher Organismen fördert.
Also: Was alt ist, ist nicht automatisch überholt. Und eine gewisse Skepsis allen hochgelobten neuen Errungenschaften gegenüber ist zeitweise auch angebracht.

Quellen:

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