Die traditionelle Elementen- und die sich ergebende Temperamentenlehre sind scheinbar für die heutige Zeit nicht mehr aktuell. Wie können sich die vielen individuellen Erscheinungsformen in die vier Kategorien eingliedern lassen:
- cholerisch
- sanguinisch
- phlegmatisch
- melancholisch
Außerdem stellt sich die Frage: Wie soll sich ein antikes und damit „veraltertes“ Denkmodell auch im 21. Jahrhundert halten können?
Wir kennen heute so viele Einzelheiten über den menschlichen Organismus, nicht zuletzt die Entschlüsselung des Genoms – was kann man da mit vier Kardinalsäften und deren Aussagen noch anfangen?
Diese Fragen sind unbedingt negativ zu beantworten, wenn man sich nicht die Mühe macht, sowohl das damalige auch heute noch gangbare Denkmodell sowie den seinerzeit herrschenden sprachlichen Ausdruck zu verstehen und zu begreifen. Aus diesem Grund wird das naturphilosophisch-naturheilkundliche Denken weiterhin sehr stark mit Metaphern und bildhafter Sprache dargestellt. Gerade weil zu jener Zeit bestimmte Erkenntnisse noch nicht bekannt waren, wurden viele bildhafte Vergleiche aus dem makrokosmischen und sozialen Umfeld des Menschen geprägt. So wurden Gegebenheiten und Beobachtungen aus dem makrokosmischen Umfeld auf die Funktionen im menschlichen Organismus metaphorisch übertragen (deduktive Ableitung).
Physiopathologische Erkenntnisse in der Funktionalität des „thierischen“ Organismus wurden beschrieben durch die Beobachtung der makrokosmischen Elemente (Feuer – Wasser – Luft – Erde) und in den Mikrokosmos Mensch übertragen. Die qualitativen Wirkungen dieser Elemente spiegeln sich nach alter Auffassung wieder in den Körpersäften. Daraus ergibt sich der natürliche Zusammenhang der makrokosmischen Elemente mit den im wesentlichen darunter zu verstehenden vier Kardinalsäften im Körper des Menschen, die nach hippokratischer und auch galenischer Auffassung der „Urgrund“ des lebenden Organismus darstellen. Auch nach heutigen Erkenntnissen kommt alles Leben aus dem Wasser. In der antiken Erkenntnis wurde behauptet: Die Kardinalsäfte als flüssige Teile bereiten sich die festen Teile im Organismus. Diese Ansicht erscheint demzufolge hochmodern.
Aus dem Gesagten folgt die Aussage:
„Was im Makrokosmos das Element, ist im Mikrokosmos der Saft.“
Demzufolge lassen sich folgende Zusammenhänge aufzeigen:
- Feuer – Gelbgalle (Bilis flava)
- Wasser – Schleim (Phlegma)
- Luft – Blut (Sanguis/Sanguisprinzip)
- Erde – Schwarze Galle (Bilis nigra)
Feuer
die qualitativen Wirkungen des elementaren Feuers zeigen sich in Wärme, Hitze, Fieber, Energie, Bewegung, Aktivität bis Überaktivität, Neigung zur Trockenheit und gravierend zur Austrocknung, Anspannung der „Faser“ bis zum Krampf, Erregbarkeit, Reizbarkeit bis zu Übererregung und Überreizung.
Gelbgalle – Bilis flava
Das Feuerelement mit all seinen qualitativen Wirkungen wird im Organismus als gelbe Galle bezeichnet. Diese, wie alle anderen Kardinalsäfte, werden als „elementare Inkarnation“ betrachtet.
Dieser Kardinalsaft vertritt alle Eigenschaften, und zwar in allen Teilen des Körpers, des elementaren Feuers. Diese Eigenschaften sind jedem Organ und Organsystem eigen; jeder Funktionsabschnitt im Körper besitzt einen ihm gemäßen Anteil des Elementes respektive Kardinalsaftes.
Nach alter humoraler Auffassung ist das Feuer mit seinen Qualitäten insbesondere repräsentiert in der Leber und im Herzen.
Wasser
Die qualitativen Wirkungen des elementaren Wassers zeigen sich in Feuchtigkeit, Kälte, Energiearmut, geringe Bewegung bis zur Erstarrung und Verhärtung,
Neigung zu Wasseransammlungen, Erschlaffung der „Faser“ bis zur Elongation, herabgesetzte Erregbarkeit und Sensibilität bis zur Unterreizung der betroffenen Teile.
Rein physiologisch betrachtet dient das elementare Wasser als Verteilungs- und Transportmittel; es erhält seine Energie für physiologische Aktivitäten vom Feuer. Diese Aufgabe wurde als „aktuelle Feuchtigkeit“ betrachtet. Nur energiereiches Wasser kann diese seine Tätigkeiten erfüllen. Wasser im Sinne eines Ödems besitzt zu geringe „aktuelle Feuchtigkeit“.
Schleim – Phlegma
Die mikrokosmische Entsprechung des elementaren Wassers ist das Phlegma oder der Schleim. Ihm kommen alle genannten Eigenschaften zu. Das Phlegma dient dem Ersatz von verbrauchtem Substrat.
Hildegard v. Bingen drückte diese Eigenschaft aus: „Das Wasser ist das Fahrzeug der Nahrung“.
Das dem Phlegma insbesondere zugeteilte organische Substrat ist das gesamte Lymphsystem mit all seinen physiopathologischen konsensuellen und antagonistischen Zusammenhängen.
Der physiologische Entstehungsort des Phlegmas ist das Abdomen, insbesondere der Magen.
Luft
Die qualitativen Wirkungen der elementaren Luft zeigen sich ähnlich wie beim Feuer, als dessen Partner sie gilt, in Energie und Energievermittlung, Bewegung, Aktivität, „Luftigkeit“ und Ausdehnungsfähigkeit, Reizbarkeit, je nach zusätzlichen Eigenschaften in Trockenheit oder Feuchtigkeit, in Wärme oder Kälte und in Pulsation (für die Pulsbewegung wurden die aktiven Bestandteile der Luft = Pneuma verantwortlich gemacht).
“Blut“ – Sanguis – Sanguisprinzip
Die mikrokosmische Entsprechung der elementaren Luft stellt das Blut im Sinne des Sanguisprinzips dar. Dieser Blutbegriff darf nicht mit dem in den Gefäßen fließenden Blut als Gewebe verwechselt werden. Zwar gibt es reichlich Gemeinsamkeiten, jedoch ist die Unterscheidung notwendig. So ist beispielsweise die Kraft des Blutes unter anderem vom Vorhandensein elementarer Luft abhängig.
Eine weitere organische Entsprechung für die elementare Luft sind verständlicherweise die Lungen, mittelbar die Haut und das „atmende“ Epithelgewebe.
Erde
Die qualitativen Wirkungen der elementaren Erde sind Kälte, Trockenheit, Verfestigung und Verhärtung, Energiearmut bis –losigkeit, Unterreizung und Unterfunktion, Kristallisationen, Verschlackungszustände. Andererseits gilt die Erde als potenzieller Ausgangspunkt für die Erhaltung des Organismus. Ihre Produkte (feste und flüssige Speisen) müssen im „Kochungsvorgang“ bearbeitet und energetisch aufbereitet werden. In diesem Sinne ist die Erde als Element doppelsinnig zu verstehen. Sie gilt als Ursprung der Energiebereitung und als Überrest von verbrauchtem Material (Schlacken und Überschuss-Stoffe).
Schwarze Galle – Bilis nigra
Die mikrokosmische Entsprechung der verbrauchten Erde ist der Kardinalsaft Schwarzgalle. Insbesondere sind damit gemeint alle energiearmen Säfte und Verbindungen, Schlacken- und Überschussstoffe, die einerseits geeignete physiologische und anregende Wirkungen zeitigen, andererseits verantwortlich gemacht werden können für die pathologischen Wirkungen wie Minderfunktion, Stockungen, Stagnationen, pathologische Ansammlungen, Ablagerungen und Verhärtungsprozesse.
Die organische Entsprechung für die Schwarzgalle ist die Milz, die in diesem Zusammenhang eine Recyclingfunktion erfüllt.
Das Temperament
Wie den makrokosmischen Elementen die jeweiligen Kardinalsäfte zugeordnet werden, ergeben sich auf die Gesamtheit des Mikrokosmos Mensch die jeweiligen Entsprechungen in Bezug auf das Temperament. Es wird damit die Absicht ausgedrückt, dem jeweils vorherrschenden Kardinalsaft eine bestimmte Typisierung zuzuordnen.
Nach alter Auffassung beschreibt daher das Temperament eine umfassende und individuelle Physiopathologie des entsprechenden Menschentypus. Diese Vierereinteilung in Temperamente beschreibt die elementare Ausgangssituation eines Menschen, deren weitere Ausdifferenzierung im Rahmen der Konstitution ihre Vollendung findet.
Vielen Dank für diese wertvolle Mitteilung !
Schön Grüsse nach Bayern.
Kollegin Cécile Pelâtre-Bource
http://www.cbource-naturopathie.fr