Tinnitus

Zunächst einige nüchterne Fakten:

  • Bei der Eingabe des Begriffes Tinnitus im Internet zeigt die Suchmaschine Google 3.930.000 Einträge, bei lycos sind es 565.000 und bei fireball sind es noch 96.500 Einträge zum Thema.
  • Es gibt keine zuverlässigen Statistiken, aber man sagt, dass sich jährlich etwa 5.000 Menschen wegen der mörderischen Ohrgeräusche das Leben nehmen.
  • Etwa 10–20 % der Bevölkerung sind von Tinnitus dauerhaft betroffen, knapp 40 % stellen zumindest einmal im Leben ein derartiges Ohrgeräusch fest.
  • Etwa ein Drittel aller älteren Menschen gibt an, ständig Ohrgeräusche wahrzunehmen.
  • Der Beginn der Krankheit liegt typischerweise zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr.
  • Frauen und Männer sind gleichermaßen betroffen.

Besonders in den letzten Jahrzehnten ist die Zahl der Tinnituspatienten laut Meinung einiger Autoren in den westlichen Industrieländern stark gestiegen.

Man spricht daher in Deutschland mitunter von einer Volkskrankheit.

Aber bevor wir uns dem Tinnitus nähern, beschäftigen wir uns doch zunächst einmal mit der Physiologie des Hörens:

Der Schall pflanzt sich über den Gehörgang, das Trommelfell, die Gehörknöchelchen in das innere Ohr mit den Haarzellen des Corti’schen Organs weiter.
Dort erfolgt auch die Vernetzung mit den Schallwellen, welche über die Knochenleitung weitergegeben wurden. Von dort aus gelangt das Gehörte weiter über nervale Impulsfortleitung vom Gehirnstamm in die Anteile des Gehirns, in denen man den Sitz des Hörens entdeckt hat. Dort werden die Eindrücke mit den gespeicherten Eindrücken in Assoziationsfeldern verglichen und damit entsteht der Höreindruck. Was wir also hören und wie wir das Gehörte erleben, hängt also in erster Linie davon ab, wie es intellektuell und emotional interpretiert wird, nicht aber von der Quantität und Qualität der Schallwellen.
Daraus resultiert wahrscheinlich auch die Tatsache, dass manche Menschen nur von klassischer Musik berührt werden, andere sich nur bei moderner Musik wohlfühlen, dritte das Bullern eines Motors genießen können und manche Menschen sogar der „Sound“ einer Kreissäge glücklich macht.

Das Hören ist dabei mit vielen anderen Zentren des Gehirnes gekoppelt, wie zum Beispiel dem olfaktorischen und dem visuellen Zentrum. Und aus der Gesamtvernetzung, die eine ungeheure Hirnleistung darstellt, erfolgt der Gesamteindruck des Hörens.

Was ist nun der Tinnitus?

Es handelt sich um Ohrgeräusche, die prinzipiell unterteilt werden in sogenannte objektive und subjektive.

Objektive Ohrgeräusche kann nicht nur der Patient, sondern auch der Behandler z.B. mittels Stethoskop feststellen.

Subjektive Ohrgeräusche werden nur vom Patienten selbst wahrgenommen.

Die Geräusche selbst sind konstant, intermittierend, anfallsweise oder progredient, hörbar als permanenter Ton oder in verschiedenen Tonhöhen und Frequenzen.

Man unterscheidet

  • nonpulsative Ohrgeräusche
    Als Rauschen, Klingen, Sausen, Brummen – treten auf vor allem bei akuter Otitis, bei Tubenkatarrh oder bei Otosklerose.

    Pfeifende oder zischende Geräusche nach akustischen Trauma, bei Erkrankungen des Innenohres, Akustikus Neurinom, Hörsturz, Mb.Menière, Lermoyez Syndrom, bei Intoxikationen (z.B. Arsenvergiftung). Diese Form der Ohrengeräusche wird auch als unerwünschte Nebenwirkung bei manchen Medikamenten z.B. Statinen und Blutdrucksenkern oder dem ototoxischen Streptomycin festgestellt.
  • Pulssynchrone Ohrgeräusche
    Diese Geräusche treten bei Durchblutungsstörungen, als z.B. bei Stenosen von Gefäßen oberhalb der Aorta, bei Aneurysmen, Angiomen oder sonstigen Veränderungen intracranieller Gefäße auf.

    Ebenso bei Glomustumoren, also Paragangliomen des Mittelohres oder tumorösen Veränderungen des Glomus caroticum

    Bei Hypertonie

    Als Frühwarnzeichen bei blutigen Insulten

Die aufgezählten Punkte sind die wissenschaftlich anerkannten Erkrankungsmodi, so wie sie ein häufig verwendetes Medizinlexikon festhält.

Damit kennen wir den Tinnitus in seinen Erscheinungsformen und können uns den Ursachen für das Auftreten des Tinnitus widmen.

Hier sind auch allgemeine bakterielle und virale Infektionen, wie z.B. die Borreliose und auch Autoimmunerkrankungen des Innenohres zu nennen.

Des weiteren können Tauchunfälle oder ein ganz simpler Ceruminalpfropf Auslöser eines Tinnitus sein.

Als völlig unwissenschaftlich abgetan wird, dass humorale Störungen, die von Zahnfüll- und Zahnwerkstoffen ausgehen (Amalgam, Gold, Palladium, Silber, Titan) sowie nervale Irritationen durch Spannungen auf Grund verschiedener Metalle im Mund ursächlich für den Tinnitus sein können.
Auch Störungen durch Implantate sind „in der Literatur nicht beschrieben“ und existieren daher nicht.

Und mit der Diagnose „Tinnitus durch vertebragene Blockaden und nuchalen Muskelhypertonus“ ist man schon fast im Bereich der Wahrsagerei angelangt. Merkwürdig, denn alle vorhin zitierten Erkrankungen haben Störungen der Lymphzirkulation oder Lymphstauungen zur Folge, und die akzeptiert die Wissenschaft ausschließlich bei dem oben erwähnten Mb. Menière.
In diesem Zusammenhang muss auch das Tinnitusmodell nach Jastreboff erwähnt werden. Er sagt, dass der Tinnitus in den wenigsten Fällen etwas mit dem Gehör an sich zu tun hat, sondern eine Überreaktion der subcorticalen Systeme auf die Signale elektrisch aktiver Neurone im Hörsystem darstellt. Normalerweise werden diese Signale von den autonomen Zentren als unbedeutend eingestuft und daher herunter reguliert, also nicht wahrgenommen. Doch das Zusammentreffen des Tinnitus mit einer negativen emotionalen Situation kann eine Konditionierung auslösen, welche dann zur Chronifizierung des Tinnitus oder zumindest zum chronisch recidivierenden Auftreten dieses Symptoms führt.

Das passt zu meiner Erfahrung, dass sich der Tinnitus meistens im Kopf und nicht im Ohr abspielt.

Man kann eine Sache oder eine Krankheit positiv und negativ betrachten. Wie eine Negativbetrachtung des Tinnitus aussieht, zeigt ein Zitat aus der Medical Tribune:
„Da viele Patienten in stressbeladenen Lebensphasen und Situationen, in denen es ihnen psychisch schlecht geht, verstärkt Ohrgeräusche wahrnehmen, ist zumindest ein psychosomatischer Einfluss nicht auszuschließen. In Ermangelung anderer Erklärungen ist jedoch auch denkbar, dass eine nicht zutreffende Kausalität zwischen Stress und Tinnitus vom Betroffenen konstruiert wird.“

Nun – es sind hier aus meiner Sicht zwei Dinge festzuhalten:

  • wenn es einem Patienten schlecht geht und es dafür keine wissenschaftliche Erklärung gibt, ist er selbst schuld oder bildet es sich ein.
  • dass es zwei Arten von Krankheiten gibt: die einen stehen im Lehrbuch und die anderen sitzen im Wartezimmer

Beschäftigen wir uns also mit den Erkrankten, die im Wartezimmer sitzen. Es sollte beim Symptom Tinnitus, ähnlich wie beim Symptom Schmerz, zunächst einmal nach der Ursache gesucht werden.
Denn genau so wie der Schmerz ist der Tinnitus nur ein Symptom, aber keine Erkrankung. Und, wie Sie sicherlich bei der oben gemachten Auflistung gemerkt haben, gibt es da doch einige Dinge, die vor Behandlungsbeginn ausgeschlossen werden sollten. Die dazu notwendigen Untersuchungen wiederum können wir in den seltensten Fällen in unseren Praxen machen, sie gehören in die Hände des HNO-Arztes, des Radiologen und der Fachklinik. Meist aber sind die Patienten schon hinreichend untersucht und kommen dann nach Serien von durchlutungsverbessernden oder Hochdosis-Corticoid-Infusionstherapien in unsere Praxis.

Wenn Menschen erstmalig einen Tinnitus empfinden, der länger anhält als vielleicht eine Stunde, verfallen viele in Panik, weil sie mit dem Symptom überhaupt nicht umgehen können.
Hierbei ist wiederum interessant, dass die meisten Betroffenen einseitige Ohrgeräusche als wesentlich bedrohlicher einstufen als solche auf beiden Ohren.
Diese Panik ist berechtigt, denn es handelt sich um einen regelrechten
Teufelskreis Tinnitus:

  • Irgendein Auslöser hat beim Patienten irgendwann einmal einen Tinnitus verursacht (z.B. Knalltrauma).
  • Es besteht Angst, das wieder zu bekommen.
  • Der Patient sieht oder liest Medienberichte.
  • Die Angst verstärkt sich.
  • Es kommt zu Anspannung und Nervosität.
  • Alle Befürchtungen werden bestätigt.
  • Das in-sich-hinein-hören wird verstärkt.
  • Der Tinnitus verstärkt sich.
  • Und dann geht es oben weiter.

So entwickelt sich bei vielen Patienten nach relativ kurzer Zeit ein unschönes Phänomen, nämlich der Rückzug.

Aber das ist auch ein ähnlicher Teufelskreis.

Um dem Tinnitus auszuweichen, verzieht sich der Patient in eine geräuscharme Umgebung.

In dieser Umgebung steigt das Ruhebedürfnis ebenso wie die vegetative Erregung, was zu einer erneuten Sensibilisierung führt.

Damit nimmt neben dem Tinnitus auch die allgemeine Geräuschempfindlichkeit zu.

Folge: weiterer Rückzug, um noch mehr Ruhe zu bekommen und auch hier wären wir wieder am Anfang des Kreises angelangt.

Aus medizinischer Sicht ist jedoch zunächst einmal keine Panik vonnöten. Denn nach dem Zeitpunkt der Wahrnehmung eines Tinnitus werden in der Regel drei Phasen unterschieden:

  • akuter Tinnitus (bis 3 Monate)
  • subakuter Tinnitus (bis 6 Monate) 
  • chronischer Tinnitus (über 6 Monate)

Das bedeutet, dass Sie als Behandler nach dem erstmaligen Auftreten eines Tinnitus maximal 3 Monate Zeit haben, ihn zu beseitigen. Aus medizinischer Sicht. Nach meiner Erfahrung sollte sich ein Erfolg jedoch wesentlich schneller einstellen, denn ansonsten entwickeln sich bei ausnahmslos allen Patienten die eben geschilderten Panik- und Rückzugsmodelle.

Damit sind wir bei den therapeutischen Möglichkeiten des Heilpraktikers angelangt. Diese sind sehr vielfältig und im Kollegenbereich beschrieben.

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