Krebs-Früherkennung

Krebs, rechtzeitig erkannt, ist heilbar. Dieses Diktum ist sicherlich unwiderlegbar und man neigt zur Zustimmung. Auch in der evangelischen Akademie Tutzing wurde diese Thematik kontrovers diskutiert.

Der Anlass ist gegeben, denn viele Kampagnen zur Krebsfrüherkennung schüren Angst und werben teilweise mit einem Dreigespann: früher erkennen, besser behandeln, länger leben. Den Krebs als solchen scheren solche Aussagen überhaupt nicht. Denn es gibt immer noch einige Krebsarten, die sich gar nicht früh erkennen lassen. Warum die Verminderung des Krebsleidens mittels Früherkennung so schwierig ist, wird deutlich, wenn man sich die Ausbreitungsratio der einzelnen  Krebsarten genauer ansieht.

Typ 1 kann mittels Früherkennung entdeckt werden, bevor Metastasen entstehen. Frühe Therapie bringt hier tatsächlich Erfolge und gewonnene Lebensjahre.

Typ 2 bildet sehr früh Metastasen und kann auch durch frühe Diagnostik und Therapie nicht geheilt werden. Hier wird festgestellt, dass die Früherkennung nicht lebensverlängernd wirkt, sondern nur das Leiden verlängert.

Typ 3 ist ein Tumor, der allerdings keine Metastasen bildet. Er ist auch nicht tödlich und daher führt auch hier Früherkennung nicht zu einer Lebensverlängerung sondern zu einer Leidensverlängerung durch die Nebenwirkungen der Therapie.

Typ 4-Tumore wachsen so langsam oder bleiben so klein, dass sie nie aufgefallen wären, hätte man den Patienten nicht untersucht. Auch in diesem Fall wird das Leben durch die Früherkennung nicht verlängert, sondern Überdiagnose und Übertherapie belasten die Lebensqualität der Patienten.

Ingrid Mühlhauser von der Universität Hamburg sagt: „Die „erfolgreichsten“ Krebsbehandlungen sind dann die jener Tumore, die nie aufgefallen wären.“

Und Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, zeigte die Problematik des Satzes „Vorsorge rettet Leben“ am Beispiel der Früherkennung von Prostatakrebs durch die Bestimmung des PSA-Wertes. „Damit wird es zum Dauerzustand, dass immer mehr Menschen zu Krebspatienten werden, ohne dass es nötig wäre oder es eine sinnvolle Therapieoption gibt.“ Er beschreibt auch, dass Operation und Bestrahlung hohe Kosten verursachen und für den Patienten meist mit Impotenz und Inkontinenz einher gehen. Als noch schlimmer beschrieb er die rektale Untersuchung als absolut entwürdigende Diagnostik, für deren Effizienz es keinerlei ernsthafte Studien gebe. Er führte weiter aus, dass bis 50% der im Screening entdeckten Tumore prognostisch günstig seien und Ärzte und betroffene Patienten hiervon zeitlebens nie etwas bemerkt hätten.

Die Tutzinger Tagung vermittelte Zweifel daran, dass Männer mit dem Wunsch nach Vorsorge in die Praxen kämen, eher würden Ärzte die Nachfrage stimulieren. Das wird durch die Empfehlung in der Leitlinie der Urologen belegt.  Diese stammt aus dem Jahr 2009 und besagt, dass es nicht belegt sei, dass „das PSA-Screening und damit verbundene Risiken diagnostischer und therapeutischer Konsequenzen durch eine Lebensverlängerung aufgewogen werden.“ Dennoch soll Männern die Bestimmung des PSA-Wertes und die digitale Untersuchung empfohlen werden.

Beim Darmkrebs können zwar Vorstufen des Krebses entfernt werden und daher trifft hier die Aussage „Vorsorge“ zu.

Ingrid Mühlhauser zeigte in Tutzing, dass die Erfolge bei der Mammographie allenfalls marginal sind.

Der Psychiater Klaus Dörner, bei dem vor 12 Jahren Darmkrebs festgestellt wurde, zeigte die Paradoxien auf, denen Patienten auf der Suche nach dem richtigen therapeutischen Weg begegnen. Ihm habe es geholfen, von der Wissenschaft nichts zu verstehen, um sein Vertrauen in die Medizin zu behalten. Als ihn ein einfühlsamer Arzt über Therapie und Krankheit aufklären wollte, sagte Dörner: „Hören Sie auf! Ich habe mich in Ihre Hände begeben, weil ich Ihnen vertraue. Ihre Aufklärungsbemühungen schmälern mein Vertrauen nur!“ Dörner belegte, dass nur etwa 20 % der Bevölkerung Früherkennungsmaßnahmen in Anspruch nähmen – nicht aus Ignoranz sondern aus unbewusst guten Gründen dagegen. Vorsorge in Screeningprogrammen droht Fürsorge zu ersetzen und gesunde Bürger würden zu therapie- und präventionsbedürftigen Patienten.

Fazit der Tagung: Im Streit um die Relevanz der Krebs-Früherkennung dominiert die Statistik und die Ängste der Patienten werden vernachlässigt.

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